Der Lauf der Dinge. Am Anfang steht der Impuls.

von Florence Thienel

© complize

Warum sind Kettenreaktionen so faszinierend?

Als Fischli und Weiss, ein Künstlerduo aus der Schweiz, ihren Film „Lauf der Dinge“ 1987 auf der Documenta 8 zeigten, konnten alle anderen aufwendigen, hochkonzeptionellen Künstlerarbeiten einpacken. Die Leute standen Schlange oder kauften sich Dauerkarten, um sich täglich vor ihrer Arbeit noch eine Runde „Lauf der Dinge“ anzuschauen. Am Anfang sahen die Besucher eine volle Mülltüte, die sich langsam abwärtsdrehte. Nicht unbedingt ein spannungsvoller Opener. Doch je länger man dem Film zusah, desto mehr verstand man, dass es sich hier um eine linear aufgebaute Installation handelte, bei der eine Reaktion die nächste auslöste. Die besagte Mülltüte brachte einen Autoreifen zum Rollen, dieser kippte eine Leiter um, die Leiter stieß eine Flasche um, aus der dann eine Flüssigkeit auslief, die wiederum den nächsten Teil der Kette auslöste, und so weiter und so weiter.

Klingt immer noch nicht sonderlich spannend? Richtig, muss man sich auch anschauen.

Der Film zieht einen langsam in seinen Bann, es braucht ein paar Sekunden, bis man kapiert, was vor sich geht, aber dann will man es sich wieder und wieder anschauen.

Weil alle physikalischen Weisheiten, die wir aus der Schule kennen, hier ihren großen Auftritt haben. Wir fühlen uns schlau, wenn wir einen neuen Teil des Aufbaus sehen und schon erahnen, was gleich passieren wird. Weil die Einfälle so krass und wir so gespannt sind, wie es weitergeht und ob es überhaupt weitergeht. Und wenn wir dann verstanden haben, dass es immer weitergeht, hat es auch gleichzeitig etwas unheimlich Beruhigendes. Weil es so verlässlich und einfach ist. So anders als das wirklich Leben, das eben nicht wie Kettenreaktionen linear und vorausschaubar abläuft.

Doch seltsamerweise denken und planen wir immer noch in linearen Strukturen und wundern uns dann, wenn Prozesse und Projekte nicht ablaufen wie ein gut geöltes Maschinchen. Deshalb passiert es, dass wir immer wieder Jahre lang in wohliger Sicherheit durch die Zeit surfen und wir unser Hauptaugenmerk auf, sagen wir einmal, sich selbst auffüllende Kühlschränke legen. Und dann, huch, haste nicht gesehen, wankende Weltordnung, wie konnte das denn passieren? Warum ausgerechnet jetzt und nicht Tage, Monate, Jahre davor oder danach? Zufall, Schicksal?

Nee, dynamische, sich wechselseitig beeinflussende Kettenreaktionen, die zu exponentiellen Spitzen führen. Wie ein Song, der erst einmal relativ unbemerkt im Netz dümpelt, dann von einem bekannten Influencer entdeckt wird und viral geht. Oder eine Massenkarambolage.

Zum einen erschreckend, zum anderen auch sehr motivierend. Denn das bedeutet ja auch, dass jeder von uns mit einem einzelnen, ausgelebten Impuls Einfluss nehmen kann. Entscheidend ist der Mut, die Standfestigkeit und die Aufrichtigkeit. Und der Entscheidungswille. Je schneller wir in der Lage sind zu entscheiden, desto rasanter beschleunigen sich die Dinge und nehmen an Fahrt auf.

Während manche Türen schneller zugehen, sind andere dafür scheinbar plötzlich da und offen. Wir treffen automatisch Leute, die denken und handeln wie wir, und das lässt im besten Falle unsere Ideen und Ideale Gestalt annehmen.

Und wenn es uns zu schnell und unübersichtlich wird, können wir uns zum Runterkommen ja mal wieder eine Kettenreaktion anschauen.

OK Go − This Too Shall Pass − Rube Goldberg Machine

Domino Chain Reaction

Die Autorin hat sich selbst vor vielen Jahren mit ihrer viel geschätzten Kollegin und Best Friend Andrea auch mal an eine Kettenreaktion gewagt. Aber Vorsicht! Das ist nur was für Achtsamkeitsfanatiker. Kein Ton, aufreizend langsam, schlechte Bildqualität und gemogelt wird auch ein-, zweimal. Aber die Ideen sind gut. Finden wir. Gell Andrea?

 

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