Die Geschichte von den Bienchen …

von Romina Parejo

© Romina Becher

… begann in Heidelberg im Jahre 1873. Die Bienen gab es natürlich schon weit vorher, doch das war das Gründungsjahr des Bezirksimkervereins Heidelberg. Einer der ältesten deutschen Imkervereine und einer der ersten, der sich für die Bienen interessierte, nicht nur für deren Honig. Es ist die Geschichte von Heinrich Wojciechowski und eine Geschichte, die uns alle betrifft.

Nun, es war einmal einer dieser milden Sommertage, an dem ich mich in eine der östlichsten Ecken von Heidelberg aufmachte, um Heinrich Wojciechowski zu treffen, Vorsitzender eben jenes Bezirksimkervereins Heidelberg. Wir hatten uns bei ihm zu Hause verabredet, um über seine Arbeit im Verein und als Imker zu sprechen. Nur schwer konnte ich mir die knappe Stunde für dieses Treffen zwischen meinem Projektstress freischaufeln und betrat mit zögerlichem Öffnen der Hoftür eines der schönsten Fleckchen Erde. Traumhaft verwunschen lag vor mir ein märchenhafter Garten mit duftenden Kräutern, blühenden Obstbäumen und kniehohem Wiesengras. „Ein bisschen wild hier, Natur halt“, begrüßte mich Heinrich Wojciechowski und führte mich mit leuchtenden Augen durch sein grünes Reich.

„Wissen Sie, diese Pflanzenvielfalt gibt es heute gar nicht mehr. Englischer Rasen, mit Granitsplitt aufgefüllte Vorgärten und pflegeleichte Thuja- und Buchsbaumhecken, das sehe ich leider nur noch. Bereits mein Großvater hatte von Äpfel- und Mirabellenbäumen, Erdbeeren und Brombeerhecken bis hin zu Zwetschen- und Kirschbäumen immer „Nutzgarten“. Ich erinnere mich noch an die tiefblauen Kornblumen und den leuchtenden Klatschmohn in den Kornfeldern meiner Kindheit. Das ganze Jahr über hat immer irgendetwas anderes geblüht.“ Mein Blick fällt auf eine Löwenzahnblüte, die unter dem Gewicht der drei fleißig nektarsammelnden Honigbienen fast umzuknicken droht.

„Unkraut“, lacht Wojciechowski, „die Bienen sind da aber ganz anderer Meinung. Generell können wir von diesem Völkchen viel lernen. Für mich gibt es kein intelligenteres Lebewesen als die Biene.“ Doch der Weg zu dieser Einsicht war kein einfacher und hat ihn neben unzähligen Stichen auch viel Geduld gekostet. „Mein Nachbar hatte Bienen und wollte von mir ein Bienenhaus gebaut bekommen. So habe ich angefangen, mich phasenweise damit zu beschäftigen, dort auszuhelfen, und so bin ich dann schließlich zu meinem ersten eigenen Volk gekommen. Während es bei der Imkerin, bei der ich es kaufte, noch brav und zahm war, hat es mich hingegen komplett zerstochen. Auf die Frage des Notarztes, was passiert sei, antwortete meine Frau nur trocken: „Mein Man hat ein neues Hobby, er ist jetzt Imker.“ Wir mussten beide lachen und das Schmunzeln in Wojciechowski Mundwinkeln ließ mich erahnen, dass es nicht die einzige Erfahrung dieser Art war. „Ich habe damals die Bienen nicht verstanden. Viele denken, sie tun der Natur was Gutes, und stellen einen Bienenstock in den Garten. So funktioniert das aber nicht. Man benötigt eine sehr gute Ausbildung und viel Wissen, um Bienen zu verstehen.“ So machte er sich auf die Suche und fand den Weg zum Bezirksimkerverein Heidelberg.

„Wissen Sie, Bienen stechen nur, wenn man entsprechend mit ihnen umgeht. Sie sind zum Beispiel viel aufgedrehter bei Gewitter. Oder jetzt um 14 Uhr, da sind sie richtig aufgedreht. Je später man an den Stock geht, umso besser, denn dann sind sie müde vom langen Arbeitstag. Fast wie bei uns Menschen. Wenn ich in einem Stock nach dem Rechten sehe, brauche ich auch keinen Rauch, keine Netzschleier oder Schutzkleidung. Ein paar Tropfen Nelkenöl auf einem Tuch reichen völlig aus.“ Ich schaute ihn mit verdutztem Gesicht an, während er mir nur wohlwollend entgegenlächelte: „Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, warum die Biene als Nutztier in der Rangfolge so weit hinten steht. Sie ist so kostbar, neben der wertvollen Bestäubungsarbeit liefert sie Honig, Wachs und Propolis. Zudem macht sie im Vergleich zu anderen Nutztieren keinen „Dreck“. Bienen können das Wetter vorausahnen, entsprechend machen sie heute Überstunden, wenn es morgen regnet. Eine Biene hat 12 verschiedene Berufe in den 40 Tagen ihres kurzen Lebens. Je nach Lebenszyklus umfasst das Tätigkeiten wie die eines Kindermädchens, die einer Wächterbiene oder gar Späherbiene oder die der fleißigen Sammlerbiene. Wenn die Biene merkt, dass sie sterben wird, fliegt sie weg, um den Stock nicht zu belasten.“ Er sprach von seinen Bienen wie von guten Freunden und trat ihnen mit einer Mischung aus Faszination, Begeisterung und einem Respekt gegenüber, die auch mich total in ihren Bann zog. Ich hätte ihm stundenlang weiter zuhören können. Doch der Blick auf die Uhr riss mich aus seiner Erzählung. „Herr Wojciechowski, darf ich wiederkommen?“ ‒ „Unbedingt“, und er verabschiedete mich mit seinem herzlichen Lächeln.

Es war wieder einer dieser lauen sommerlichen Nachmittage, und es fühlte sich fast schon ein bisschen abenteuerlich an, als ich mich mit David-Ali und seiner Kamera auf den Weg zu Heinrich Wojciechowski machte. Gespannt folgten wir seinem Wagen durch die grünen Wälder Heidelbergs zu seinem Bienengrundstück. Wir bogen in eine schmale Wegschneise und stiegen bei einer Reihe alter Birken aus. Das Grundstück war nicht eingezäunt. Überall blühte es, und wilde Hecken und Sträucher umrandeten einen Teil der großen ungezähmten Wiese. Quirliges Vogelgezwitscher hallte die Hänge hinauf. Strahlend hieß Wojciechowski uns willkommen und drückte mir augenzwinkernd einen Strohhut in die Hand: „Manchmal verfangen sich die Bienen gerne in den Haaren. Mehr ‚Schutz‘ brauchen Sie für heute aber auch nicht mehr.“ Wir schlenderten mit ihm eine kleine Böschung hinauf und konnten im hohen Gras bereits die ersten Bienenstöcke erkennen. Oder Beuten, wie der Imker dazu sagt.

„Bis zu 40.000 Bienen leben in so einem Stock. An ihren Fühlern und Antennen befinden sich ca. 60.000 Riechrezeptoren und Sinneszellen zum Schmecken und Tasten“, erzählt uns Wojciechowski, während wir am oberen Ende seines Grundstücks ankommen. Seit 2011 haben seine Bienen hier ein Zuhause gefunden. Aber nicht nur die, auch Hornissen, Hummeln, Insekten und Vögel. Alle sind willkommen, denn alle gehören dazu und alle sind ein wichtiger Teil im sensiblen Ökosystem. Bis auf die Varroa-Milbe. Eingeschleppt durch den Import von Bienen nach Europa, die mehr Honigertrag bringen sollten, befällt sie den Bienennachwuchs in Massen, saugt Nährstoffe aus den Larven und sorgt für Missbildungen sowie das Eindringen von Keimen. Sie ist einer der Hauptgründe für das akute Bienensterben. Zur Bekämpfung der Varroa-Milbe setzen viele Imker scharfe Chemikalien ein, die für das Bienenvolk eine qualvolle Tortur bedeuten. Auch Wojciechowski hat sich Gedanken zur Varroa-Problematik gemacht, doch sein Ansatz ist ein völlig anderer: „Mein Bestreben ist es, die Bienen wieder zurückzubringen über das Natürliche. Ohne chemische oder toxische Behandlungsmethoden. Man muss an der Ursache arbeiten und nicht die Auswirkungen bekämpfen.“ Deshalb arbeitet er gemeinsam mit der Uni Hohenheim, Abteilung Bienenkunde, an Projekten zur Erforschung und gezielten Vermehrung von den Bienenstämmen, die die befallenen Varroa-Larven erkennen und aus dem Stock entfernen können.

Eine aufgedrehte, über und über mit Pollenstaub bedeckte Honigbiene surrt direkt an meiner Nasenspitze vorbei Richtung Bienenstock. „Ahh, diese hat jetzt eine gute Futterquelle gefunden“, euphorisch folgt ihr Wojciechowski zum Stock. „Der Bienenstock ist wie ein Newsportal. Das Pollen und Nektarangebot der Natur kann sich bereits innerhalb eines Tages ändern. Manche Blüten produzieren nur vormittags Pollen und am Nachmittag gar nichts mehr. Beim Schwänzeltanz, dem für Laien sinnlosen Gekrabbel der Biene auf den Waben, teilt die Biene den anderen Bienen die Entfernung und Richtung einer Futterquelle mit, die sie gerade gefunden hat. Dann wird nach dieser Landkarte ausgeschwärmt.“

Während wir fasziniert das nun verstandene „Landkarten-Zeichnen“ der Bienen beobachten, entschwindet Wojciechowski, um nur eine Minute später mit etwas Honig auf seinem Finger wiederzukommen. „Mit dem Honig überbrücken Bienen Zeiten, in denen sie nur wenig Nahrung finden“, erklärt er, währenddessen sich bereits eine Biene gierig auf seinem Finger niedergelassen hat. „Man soll nicht alles nutzen, was ein Lebewesen erbringt. Man muss ihm auch was davon übrig lassen. Es ist wie überall im Leben ein ständiges Geben und Nehmen, ein empfindliches Gleichgewich, und wir alle leben im gleichen hochsensiblen Ökosystem.“ Hochsensibel reagieren auch die Bienen gegenüber toxischen Pflanzenschutzmitteln, welche das Gedächtnis, die Orientierung sowie die Fortpflanzung der intelligenten Tiere stark beeinflussen und schwächen. Auch die zunehmende Luftverschmutzung, bei der die Schadmoleküle mit den Duftstoffen der Blüten reagieren, wodurch die Duftspur zerstört wird und die Bienen doppelt so lange suchen müssen.

Das erste Mal senkt Wojciechowski den Blick und erzählt uns mit einem tiefen Seufzer: „Das Bienensterben hat viele Gründe. Einige habe ich Ihnen ja bereits erklärt. Doch was der Mensch nicht verstehen will, ist, dass er selbst einen großen Beitrag zu dieser traurigen Entwicklung beiträgt. Es fehlt die Blütenfolge. Die Bauern bauen nur noch das an, wofür sie am meisten Geld bekommen. Das führt zu einer Monokultur. Auf einmal blüht ein großer Berg Rapsfelder, dann nichts mehr. Nach einem reichen Angebot im Frühjahr fehlt es vor allem im Spätsommer an Nahrungsquellen – in der wichtigsten Zeit für ein Bienenvolk, um mit gesunden, widerstandsfähigen Bienen den kommenden Winter zu überstehen. Dann wird Honig aus Mexiko oder den Ostblockländern importiert, weil er im Supermarkt preiswerter angeboten werden kann. Regionaler Honig wird nur selten gekauft. Durch unser eigenes Konsumverhalten, durch die Gestaltung unseres Lebensraums und die Entscheidungen, die wir treffen, tragen wir alle dazu bei. Im Guten wie im Schlechten. Doch die Biene braucht uns. Da die Natur mittlerweile nicht mehr die Natur ist, die sie einmal war. Doch wir, wir brauchen die Biene noch mehr.“

Wir verabschieden uns am unteren Rand seines Grundstückes. Über uns zieht ein anmutiger Turmfalke seine Kreise und ein warmer Sommerwind streicht über das hohe duftende Wiesengras. Noch einmal lasse ich meinen Blick über dieses Stück heile Welt schweifen. Geschaffen und beschützt von einem Mann, der die Welt wieder ein Stückchen besser macht.

Ein paar Eindrücke meiner Reise durch dieses Stück heile Welt hat David-Ali mit seiner Kamera eingefangen, um den Zauber dieser Begegnung für 2:09 Minuten festzuhalten.

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