Ins Rollen gebracht
von Romina Parejo
Tropf. Mühsam bahnt sich der langgezogene Regentropfen seinen Weg vom halbgeöffneten Fenster über die Fensterbank in Richtung Parkett. Nach knapp 20 Zentimetern gibt er schließlich auf und verharrt frustriert als trostloser Wasserfleck auf dem Fenstersims. So sieht man ihm die immense Kraft seines Elementes gar nicht an. Ich denke an die unglaubliche Wucht eines aufbrechenden Staudamms, in dem sich Milliarden von Wassertropfen zusammengetan haben, um in einer gemeinsamen Bewegung ungeheure Kraft freizusetzen. Die Kraft der Masse. Die Kraft, Dinge gemeinsam zu bewegen. Eine Kraft, der wir uns in unserer Gesellschaft langsam wieder bewusster werden.
Zum Beispiel durch „Crowdfunding“. Eingedeutscht auch als „Schwarmfinanzierung“ bekannt, steht es grob übersetzt für Masse und Förderung. Durch Crowdfunding ist es einfacher denn je geworden, als Masse wieder etwas zu bewegen. Zahlreiche Crowdfunding-Plattformen bieten auf ihren Seiten die Möglichkeit, ein Projekt, dessen Rahmenparameter und natürlich die benötigte Mindestkapitalmenge publik zu machen. Sogenannte „Crowdfunder“, also Unterstützer, können dann mit ihrem Beitrag (Summe x) das Projekt fördern. Das spannende daran: Innerhalb eines limitierten Zeitraums müssen genügend Crowdfunder für das Projekt gewonnen werden, um die Mindestkapitalmenge zu erreichen und das Projekt umzusetzen.
Hinter den meisten erfolgreich durch Crowdfunding realisierten Projekten und Ideen steckt der Impuls, die Welt wieder ein bisschen besser zu machen. Wie zum Beispiel die Karma Chakhs oder das Fairphone, die beide an fairere Herstellungs-bedingungen und angemessenere Entlohnung appellieren. Was mir persönlich sehr am Herzen liegt und auch zur Rubrik „die Welt wieder ein Stückchen besser machen“ zählt, ist das Thema Lebensmittelproduktion. Vor allem der Umgang damit. Denn in Deutschland werden jährlich 11 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Das sind 313 Kilo Lebensmittel pro Sekunde! Und das nicht einmal, weil sie laut Mindesthaltbarkeitsdatum abgelaufen sind. Es beginnt schon bei der Form von Gemüse. Entspricht diese nicht der Norm, wird es entsorgt. Nur weil es krumm oder zu klein ist. Ähnliches gilt für Brot und Backwaren sowie der Zustand von Verpackungen. Auch wenn der Inhalt noch unversehrt ist, der Kunde würde es nicht kaufen und so wird es entsorgt. Doch auch zu dieser traurigen Entwicklung gibt es eine heroische Gegenbewegung.
Es war der Verein ShoutOutLoud e.V. in Frankfurt und sein Claim „Changing the World Step by Step“, der mich sofort neugierig machte. Während viele die akute Lebensmittelverschwendung lediglich anprangern und sich beklagen, ohne konkret etwas zu tun, wollte ShoutOutLoud auch wirklich etwas bewegen. Mit dem Ansatz „Lebensmittel nicht aus, sondern vor der Tonne zu retten“ entstand das Programm „Kein Essen für die Tonne“, durch das viele kleine Projekte wie „Waste Watcher Partys“, „Fair-Teiler“ und „SOL-Küchen“ sowie „Integration geht durch den Magen“ angestoßen wurden. Dennoch blieb der Kreis der Interessenten recht homogen. „Es waren zunehmend bekannte Gesichter, die an unseren Projekten und Veranstaltungen teilnahmen. Das freut uns auf der einen Seite natürlich sehr und bestärkt uns in dieser Sache. Auf der anderen Seite wollen wir mehr Menschen erreichen und eben diesen Kreis erweitern“, so Daniel Anthes, Vorstandsmitglied von ShoutOutLoud e.V..
Das war die Geburtsstunde von „Resteküche − Beste Küche“ und damit der Idee, mit einem Foodtruck gerettetes Essen an Streetfood- und Wochenmärkten, an Schulen durch Workshops oder auch Vereinen anzubieten, um damit mehr Menschen für dieses Thema zu sensibilisieren. „Das Besondere daran ist, mit Lebensmitteln zu arbeiten, die eigentlich weggeworfen werden sollten. Etwa mit Brot, das am Vortag noch als frisch und verkaufbar galt, oder Obst und Gemüse, das vielleicht nicht allzu schön gewachsen ist und deshalb aussortiert wird“, so Daniel weiter: „Mit der mobilen „Resteküche“ möchten wir Menschen für dieses Thema auf genussvolle und spaßige Art begeistern. Also eben nicht mit hochgehaltenem Zeigefinger, sondern einfach nur durch die Demonstration, was alles noch richtig lecker schmecken kann. Saisonal, regional und ja, vegetarisch und vegan. Denn ein Fleisch-Angebot macht bei unserem Nachhaltigkeitsansatz schlichtweg keinen Sinn. Zudem wollen wir parallel zum Essensangebot mit Pop-up-Think-Tanks, also Workshops bestehend aus Gruppendiskussionen, Impulsvorträgen & Live-Cooking zu einem nachhaltigeren Umgang mit Lebensmitteln anregen.“
Auf dieser Basis startete am 17. Dezember 2016 das Crowdfunding-Projekt für den Resteküche-Foodtruck. 30.000 EUR galt es aufzubringen, um die Fundingschwelle zu knacken. Am 4. Februar 2017 war es so weit: 40.154 EUR wurden zusammengetragen. Ein toller Erfolg für ein Projekt, das einer so wichtigen Sache dient.
Es war eine ganz bewusste Entscheidung, die Foodtruck-Idee über Crowdfunding und nicht über Fördermittel zu realisieren. Crowdfunding ist weit mehr als eine reine Finanzierungsmöglichkeit. Es ist ebenso die Möglichkeit, seine Idee zu präsentieren, Menschen zu begeistern und gemeinsam an einer Bewegung zu arbeiten. So wie der Resteküche-Foodtruck, hinter dem die große Bewegung steht, gemeinsam etwas am aktuellen Umgang mit Lebensmitteln zu ändern.
Noch in diesem Sommer soll er fertig werden, der Foodtruck. Dann rollt er hinaus, mit der Mission, Menschen zu einem bewussteren Umgang mit Lebensmitteln zu bewegen.
Quellen:
- Mehr Texte von:
- Romina Parejo
- Erzählt
- Feature