Raumfänger
von Sarah Toebben
Ich wohne erst seit Ende letzten Jahres hier in Heidelberg und durfte bereits gleich zu Beginn meiner Zeit zwei sehr sympathische und in Heidelberg stark verwurzelte Menschen kennenlernen, den lieben Philipp und Jasper. Bei unserem ersten Treffen erzählten sie mir von einem spannenden Projekt, an dem sie arbeiteten. Es ging um eine Art Blase, ein Begeisterhaus, und das Ganze sollte „Raumfänger“ heißen. Ganz konnte ich mir das alles nicht vorstellen, aber ich wusste, dass es etwas Schönes wird, da sie mit einer Leidenschaft von dem Projekt gesprochen haben, die keinen Zweifel daran gelassen hat.
Das alles sollte diesen Sommer stattfinden, und das hat es auch. Ich war wie viele andere „begeistert“. Vielleicht hat der ein oder andere von euch den Raumfänger schon einmal in der Stadt gesehen oder war selbst ein Teil davon. Ich wollte von den beiden wissen, wie sie den Sommer erlebt haben und dazu geht es erst einmal zurück zum Anfang.
HERZWERT: Kurz ein wenig über euch, wer seid ihr und wie ist Raumfänger entstanden? Und für alle, die ihn nicht kennen, was ist der Raumfänger?
Jasper: Wir sind ein Kollektiv aus jungen Künstlern, studierenden Sozialwissenschaftlern, Handwerkern und Kulturproduzenten. Wir alle verstehen uns als aktive Stadtproduzenten und wollen offene, spielerische und produktive Räume erschaffen, in denen sich die unterschiedlichsten Menschen auf Augenhöhe begegnen und sich gemeinsam mit sich selbst, ihren Ideen, Projekten und verschiedenen Weltanschauungen konfrontieren und auseinandersetzen. In der Praxis übersetzt sich dieses Vorhaben in ständige Netzwerkarbeit, Eventorganisation, Konzeptarbeit und, am wichtigsten, in Reflexionsschleifen, welche um die eigene Arbeit und Prozesse kreisen, mit dem Ziel, diese durch die konkreten Erfahrungen aus den gelebten Situationen zu verbessern und in ihrer Wirksamkeit zu steigern.
Philipp: Mein Name ist Philipp Herold, ich bin 25 Jahre alt, Slam-Poet und Moderator aus Heidelberg, Student der Kulturwissenschaft und seit Jahren bestens befreundet mit Jasper Schmidt, mit dem ich ganz zu Anfang das Projekt konzipiert habe. Mit dem Raumfänger wollen wir eine Plattform im öffentlichen Raum schaffen, „in“ der wir alle dazu einladen, sich an der Idee des „Begeisterhauses“ zu beteiligen. Indem wir in unregelmäßigen Abständen kulturelle Events in dieser „Blase“ organisieren ‒ in Kooperationen mit anderen Kreativschaffenden und an wechselnden Orten über ganz Heidelberg verteilt.
HERZWERT: Wie seid ihr auf diese Idee gekommen und wie wurde aus dieser Idee Wirklichkeit?
J: Wie es zu der Idee kam, lässt sich am besten mit zwei großen Überschriften verdeutlichen, mit denen wir unser Projekt versehen haben: „Die Stadt ist unsere Fabrik“ und „Bewegung beginnt mit Begegnung“. Wir alle im Team haben die positive Erfahrung gemacht, dass eine Stadt enorm viele unterschiedliche Energien, Ideen und kreative Menschen verdichtet, die gemeinsam eigentlich jedes Projekt verwirklichen könnten. Doch damit aus einer Idee, einem flüchtigen Gedanken oder einer mutigen Utopie auch eine in der Wirklichkeit erlebbare Situation wird ‒ kurz gesagt, damit Bewegung entsteht ‒ braucht es zunächst Begegnung. Wir brauchen Räume in der Stadt, in denen sich Menschen unvorhergesehen treffen können, um gemeinsam Unvorhergesehenes erschaffen zu können. So begann unsere Arbeit mit der Vision eines „Begeisterhauses“ ‒ eines Ortes, an dem alle willkommen sind und an dem jedem von uns Werkzeuge und Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, damit Ideen in die Tat umgesetzt werden können. Egal, ob es sich dabei um handwerkliche, soziale, kulturelle, künstlerische oder auch unternehmerische Projekte handelt. Und um einen Ort, den es noch nicht gibt, mit dem Wissen und den Ideen der vielen entstehen lassen zu können, braucht es einen Raum ‒ „a space to project a place“. So ist der Raumfänger entstanden.
HERZWERT: Wie lief dann die ganze Planung und Bauphase ab?
J: Die Planung für das Begeisterhaus begann im September 2015. Im November begann sich langsam die Idee eines mobilen Raums herauszukristallisieren. Ab Januar 2016 bauten wir kleine Prototypen dieses beweglichen Raums aus alten Baufolien und 3-D gedruckten Modellen des Anhängers. Anfang Februar präsentierten wir die Idee zum ersten Mal der Öffentlichkeit. Von Mitte Februar bis zum Tag vor der Eröffnung wurde dann genäht, geschweißt, geschraubt und gebaut. Unser Team wuchs in der Bauphase auf zwölf Leute an. Entscheidend für den Erfolg war die ehrenamtliche Unterstützung einer Gruppe von Refugees aus Gambia, ohne deren Fähigkeiten und Energie die Blase niemals fertig geworden wäre. Es war erstaunlich, in welch kurzer Zeit sich ein Teamgeist entwickelte, der über kulturelle Grenzen hinweg eine beeindruckende Produktivität entstehen ließ.
HERZWERT: Und nun der erste Aufbau, die erste Blase ‒ was war das für ein Gefühl?
P: In einem Wort: überwältigend! Die Monate andauernde Arbeit an diesem einen Tag endlich präsentieren zu können, war einfach ein Fest. Und zu wissen, dass dies erst der Startschuss sein wird, war einfach wunderbar.
J: Das Gefühl, das wir beim ersten Aufblasen verspürten, lässt sich kaum in Worte fassen. Stolz und Faszination für das selbst Erschaffene beschreiben es wohl aber am besten. Beim ersten öffentlichen Auftritt sprang diese Begeisterung auf nahezu alle Besucher*innen über. Das Feedback reichte von Glückwünschen über erste Ideen, was man in der Blase alles machen kann, bis hin zu typisch deutschen Verbesserungsvorschlägen („Man könnte doch auch…“, „An eurer Stelle würde ich…“ usw.).
HERZWERT: Wo ging es überall hin mit der mobilen „Blase“ und was habt ihr erlebt?
P: Vielleicht wäre es besser zu fragen, was wir dabei nicht erlebt haben. Gemeinsames Essen, Jam-Sessions, jede Menge Workshops zu unterschiedlichsten Themen, Slam-Poetry-Shows, Interviews, Theaterstücke, Bürgerbeteiligung, Breakdance, kreatives Arbeiten, Malerei, mobile Galerien, Tanz, Rap, DJs und Lichtinstallationen … ein grenzenloses Spektrum, das hoffentlich weiter wächst und wächst. Der Raumfänger ist ein unglaublich vernetzendes Element, das in den meisten Fällen wenig Vorkenntnisse verlangt.
J: Seit dem 9. April hatten wir nun insgesamt über 15 Blow-ups im Raum Heidelberg. Dabei standen wir auf öffentlichen Plätzen, vor Clubs und Kultureinrichtungen, aber auch an „Unorten“ wie auf Verkehrsinseln, in Lagerhallen oder Hinterhöfen. Bei all diesen Veranstaltungen haben wir eine Vielzahl interessierter und aktiver Menschen kennengelernt. Von Kreativschaffenden, Künstler*innen, Wissenschaftler*innen über engagierte Bürger*innen, Aktivist*innen bis hinzu Architekt*innen, Projektmanager*innen und Polititiker*innen. Als Gruppe von Leuten, die mehr am konkreten Umsetzen als am lange und breit darüber Reden interessiert sind, sind uns die meisten Leute mit positivem Feedback und dem Interesse, mit uns gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen, begegnet.
HERZWERT: Wie wurde auf euch reagiert?
P: Am witzigsten sind die erstaunten Passanten, die am Raumfänger vorbeilaufen und nicht ganz verstehen, was hier vor sich geht. Umso schöner jene, die sich trauen näher heranzutreten und nachzufragen, was es mit dem ganzen Projekt auf sich hat. Alle, die den Raumfänger schon länger oder auch erst seit Kurzem kennen, sind meist schnell begeistert ‒ von der Idee, der Konstruktion, dem Programm und der Atmosphäre, die dadurch erschaffen wird.
HERZWERT: Und, was sagt ihr, nach der ersten großen Sommertour?
J: Für ein erstes Resümee ist es noch zu früh ;-) Der Raumfänger und das Begeisterhaus sind „Work in Progress“ und leben aktuell davon, als Prototypen stets veränderbar zu sein.Wir hoffen weiterhin auf spannende Kooperationsprojekte und den Mut der Leute, neue Dinge in ungewohnten Situationen auszuprobieren. Wir werden so lange mit der Blase unterwegs sein, bis es zu kalt wird, und dann mit unserer Arbeit im Makerspace im Keller des DAI weiterarbeiten, so lange bis wir das Begeisterhaus haben. Erreichen kann man uns über unsere E-Mail-Adresse: weopenuspaces@gmail.com oder uns auf Facebook folgen. Jede*r mit Lust am kreativen Teamwork ist bei uns willkommen mitzuarbeiten. Flexibilität und eine experimentierfreudige Grundhaltung sind natürlich von Vorteil, am wichtigsten ist allerdings der innere Antrieb, Eigeninitiative ergreifen zu wollen, um unsere Stadt zu verändern.
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