Rotlicht Glaube Freiheit
von Romina Parejo
Habt Ihr Euch schon jemals gefragt, was Euch Eure Freiheit wert wäre? Ich meine mit Wert wirklich Wert. Was würdet Ihr für Eure Freiheit zahlen? Für Euren freien Willen, Eure Unabhängigkeit und Eure eigene Entscheidungskraft? Im Jahr 1830 war ein Sklave zwischen 30.000 und 40.000-US Dollar wert. Im Jahr 2016 kostet ein Sklave durchschnittlich 90-US Dollar. Innerhalb der vier Jahrhunderte des transatlantischen Sklavenhandels gab es insgesamt 13 Millionen Sklaven. Heutzutage gibt es 45,8 Millionen „Sklaven“. Wenn Ihr sie fragen würdet, was ihnen ihre Freiheit wert ist, könnten sie es Euch sicherlich genau sagen. Denn für sie ist Freiheit nichts Selbstverständliches mehr.
Daniel Rentschler, ehemaliger Englisch- und Religionslehrer und Pastor einer evangelischen Kirche, wurde vor vielen Jahren mit der Frage des Wertes der Freiheit konfrontiert. Zufällig hörte er im Autoradio ein Interview mit Gary Haugen, dem Gründer von IJM (International Justice Mission). Er war Chefermittler für die UN, um den Völkermord 1994 in Ruanda aufzuklären. Die Vorstellung, wie die Tutsi damals in Kirchen flüchteten, in der Hoffnung, dort Hilfe zu bekommen, und dann doch darin verbrannt wurden, berührte ihn sehr. Was suchten die Leute in der Kirche? In dieser Notsituation suchten sie Schutz und hofften auf jemanden, der die Menschen mit der Machete aufhielt. Der Anblick der vielen Leichen ließ in Haugen den großen Wunsch wachsen, Menschen vor Unrecht und Gewalt zu schützen, die sich selbst nicht verteidigen können. Im Jahr 1997 gründete er die Menschenrechtsorganisation International Justice Mission (IJM), die weltweit den Auftrag hat: Arme Menschen vor Gewalt schützen und Täter zur Anklage bringen.
Für Daniel war das Radiointerview ein Schlüsselmoment. Für alles gibt es Organisationen: gegen Hunger, für Trinkwasser oder für den Tierschutz. Aber es gibt keine Organisation, die sich für den Schutz von Armen vor Gewalt einsetzt. So fand er seinen Weg zu IJM und hat maßgeblich zum Auf- und Ausbau des deutschen Zweigs IJM Deutschland beigetragen. Im Jahr 2013 hat er sogar sein Beamtentum dafür niedergelegt.
„Moderne Sklaverei“ hat verschiedene Formen und Ausprägungen wie Schuldknechtschaft oder Sexhandel. IJM bekämpft Sexhandel in Kambodscha, Indien, den Philippinen und der Dominikanischen Republik. Viele Betroffene sind minderjährig. Sexhandel ist mehr als Zwangsprostitution! Sexhandel bedeutet in vielen Fällen Folter, Unterwerfung mittels Drogen, einen gebrochenen Willen, 15–20 Kunden pro Tag und ein Leben in einem winzigen Kämmerlein. Darin schlafen die Mädchen und empfangen darin ebenso ihre Freier. Zwischen den Kämmerchen gibt es oftmals keine Türen, nur dünne Vorhänge. Aus eigener Kraft können sich die Mädchen aus dieser Situation nicht befreien. Abgesehen von der Gewalt und der Angst vor den Peinigern machen es die Sprachbarrieren (in Indien gibt es beispielsweise über 200 verschiedene Sprachen) und die fehlenden finanziellen Mittel fast unmöglich zu entkommen. Zudem sind die Mädchen oft schon zu schwer traumatisiert.
Bis IJM schließlich Mädchen aus diesen Umständen befreien kann, laufen oft monatelang verdeckte Ermittlungen. An verschiedenen Standorten arbeiten Ermittler, die sich gegenüber den Zuhältern als potenzielle Kunden ausgeben. Der Schwerpunkt ihrer Ermittlung liegt auf der Suche nach Kindern, die für Sex verkauft werden. Wenn die verdeckten Ermittler in Zusammenarbeit mit der Polizei Minderjährige ausmachen konnten, tun sie den Zuhältern gegenüber so, als ob sie das Kind für Sex kaufen wollten und verhandeln den Preis. Sobald es zu einer „gefakten“ Geldübergabe kommt, haben sich die Zuhälter wegen Menschenhandel strafbar gemacht. Die Polizei hat nun einen ersten wichtigen Beweis und Verdacht, die mutmaßlichen Täter zu verhaften. Zu jeder Zeit arbeitet IJM mit der Polizei und weiteren Behörden der Strafverfolgung zusammen, um Menschenhandel und Sklaverei nachhaltig zu bekämpfen. Auf Grundlage eines Vertrags mit der jeweiligen Regierung des Landes schult IJM Beamte in der Ermittlung und Aufklärung von Fällen.
Die Befreiung von Opfern aus Sklaverei ist immer ein heikler Moment. Denn die Kinder haben viel Gewalt erfahren. Daher kümmern sich sofort Sozialarbeiter um die Kinder. Neben einer medizinischen Untersuchung bekommen sie in den ersten Stunden nach ihrer Befreiung eine Art Care-Paket mit beispielsweise einem Schlafanzug, einer Zahnbürste und einem Teddybären. Über zwei Jahre werden die Kinder in einer sicheren Einrichtung von Psychologen und Sozialarbeitern betreut, erhalten Therapie und sonstige Hilfen zur Lebensgestaltung.
Über 4.100 Betroffene von Sklaverei und Menschenhandel konnte IJM allein 2015 befreien. Dabei arbeitet die Organisation immer nach vier klaren Prinzipien: Opfer befreien, Täter überführen, Menschen stärken und Rechtssysteme ausbauen. Dadurch trägt IJM dazu bei, dass sich in den Rechtssystemen der Länder nachhaltig etwas verändert.
Wenn man Daniel fragt, inwieweit seine Arbeit bei IJM seine Arbeit als Pastor beeinflusst, sagt er: „Mein Ziel ist es, Kirche so zu gestalten, dass sie nah an den Menschen ist – und positiven Einfluss ausübt. Kirche muss gut tun – den Menschen, die hingehen, aber auch darüber hinaus –, auch denen, die weit weg wohnen, aber trotzdem meine „Nächsten“ sind. Ich nutze meinen Einfluss und mein Netzwerk, um Menschen wieder zu sensibilisieren. Dabei ist es mein Anspruch, mögliche Hürden abzubauen. Aus diesem Grund predige ich zum Beispiel ohne Talar. So sinnig er sein mag – er kann auch Distanz schaffen. Ich predige lieber in Jeans und T-Shirt. Nach meinem Verständnis muss Kirche nah bei den Menschen sein – und nicht irgendwie entrückt. Denn beim Christentum geht es nicht primär darum, in den Himmel zu kommen, sondern den Himmel auf die Erde zu bringen. Das passt eigentlich auch zu Weihnachten, denn da feiern wir genau das. Gott wird Mensch. Und unser Job ist es, jeden Tag ein Stück Himmel wieder hierherzuholen.“
Wenn Ihr zu Weihnachten auch ein Stückchen Himmel spenden wollt, dann könnt Ihr das hier tun ijm-deutschland.de.
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