Highlights von der re:publica 2019

Die re:publica wird ja immer wieder gerne als "Digitalkonferenz" bezeichnet. Auch der Bundespräsident, der sie 2019 zum ersten Mal eröffnete, adressierte hauptsächlich das Narrativ des Digitalen. Dadurch entsteht immer wieder der Eindruck der zwei Welten. Hier das Digitale oder auch die "Netzgemeinde" und dort das reale Leben. Das ist natürlich völliger Unfug. Wir leben alle in ein und derselben Welt.

Nur gibt es eben Menschen, die digitale Technologien, Netzwerke und Tools nutzen, um voran zu gehen, nach Lösungen zu suchen und diese dann kollaborativ umsetzen. Genau diese Reihenfolge ist wichtig. Diesen Menschen geht es nicht um Technik als Selbstzweck. Sie wollen Gutes tun und nutzen dazu (auch) digitale Technologien. Auf der re:publica treffen sich also keine Nerds, um über Programmiersprachen und Codes zu reden. Auf der re:publica treffen sich Menschen, die neue Wege gehen. Da trifft man Menschen, die sich gesellschaftlich und politisch einmischen anstatt nur zu reden. Und dieses Jahr traf man viele Menschen, die sich um nachhaltige Lösungen beim Klimaschutz und den damit eng verbundenen Themen Energie, Konsum und Mobilität kümmern. Sie alle sind mehr oder weniger Social Entrepreneurs, die gesellschaftliche, ökonomische und ökologische Probleme mit unternehmerischen und eben auch digitalen Mitteln lösen. Nein, nicht mit lustigen Computerspielen oder komplexer Software, sondern hauptsächlich durch digitale (soziale) Vernetzung von Akteur*innen mit ihren Communities.

Nach drei Jahren war ich also endlich auch wieder dort. Drei Tage re:publica. Drei Tage in meiner Filterblase. Drei Tage, um meinen Ideenspeicher neu aufzuladen. Mit den Ansätzen, Lösungen und Geschichten oben genannter Sozial-Unternehmer*innen. Dieser kleine Artikel über meine ganz subjektiven und persönlichen Highlights ist für all diejenigen, die nicht in Berlin dabei sein konnten. Und für die, die - wie ich - nach der "Druckbetankung" von 1.100 Speaker*innen gerne nochmal in Ruhe nachschauen und das Gehörte verarbeiten. Ich hab also die Gigabyte an neuen Inspirationen und Ideen in meinem Kopf ein bisschen vorsortiert und die wichtigsten Vorträge hier angeteasert und verlinkt.

 

Foto: Helge Thomas

Das Motto der diesjährigen re:publica war tl;dr. Das ist eine im Internet verwendete Abkürzung. Sie steht für too long; didn't read. Eine Anspielung auf das immer wieder vorgetragene Missverständnis, Menschen hätten heute nur noch eine Aufmerksamkeitsspanne von 8 Sekunden und alles über 280 Zeichen oder 3 Minuten Video würde ausgeblendet. Das ist natürlich Quatsch. Was alle von euch, die bereits bis hierhin gelesen haben, eindrucksvoll beweisen. Und jetzt kommt eure Reifeprüfung. Los geht's.

VolleHalle // Die Klimashow, die Mut macht

 

Mein absolutes Highlight war dieses Jahr die "Klimashow" einer Truppe, die sich VolleHalle nennt. Zum ersten Mal auf einer re:publica wurde ich in ein Wechselbad zwischen Gänsehaut und Tränen in den Augen geworfen. Ich war und bin zutiefst bewegt, weil die vier Protagonist*innen das eigentlich auserzählte Thema "Klimaschutz" in ihrer Show auf eine bisher nie gesehene Art und Weise transportiert haben. Angefangen mit einem Telefonat durch Raum und Zeit zwischen einem Vater und seiner (in der Zukunft 59jährigen) Tochter, die ihn eindringlich bittet, endlich etwas zu tun und ihn konfrontiert mit einem Horrorszenario all der Konsequenzen, die sein heutiges Handeln haben wird. Und schon da sind alle im Publikum hellwach. In wechselnden Rollen, mit Hollywood reifen Dialogen, spannenden Videoeinspielern von Lösungsmacher*innen und Expert*innen packt mich die Dramaturgie vom ersten bis zum letzten Moment und lässt mir keine Sekunde zum Luft holen.

Vollehalle ist ein Verein mit Sitz in Berlin. Zur Zeit planen sie für den Herbst eine Tour durch Deutschland und suchen dafür nicht nur nach möglichen Locations. Auch diverse Finanzierungsideen werden gerade geprüft. Denn obwohl es sich hier um echte Überzeugungstäter*innen handelt, brauchen sie natürlich ihr täglich Brot und ein Dach über dem Kopf. Wenn Ihr also jemanden kennt, der eine Location hat oder die Show gar finanziell unterstützen möchte, dann meldet euch bei ihnen oder bei uns. Jetzt aber erst einmal hier das Video ihrer genialen Show von der republica 2019.

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Eva Horn // Wie Populisten uns auf Social Media vor sich hertreiben - und was wir dagegen tun können

 

Eva Horn ist Social-Media-Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE und schreibt als freie Autorin für verschiedene Medien. Es war einer dieser Vorträge, die ich ausgedruckt und als große Plakate überall hingehängt hätte. Auf Twitter schrieb ich spontan, man solle bitte jedes einzelnen Wort von Eva für den Friedensnobelpreis nominieren. Evas Vortrag war so hilfreich. Vor allem für Menschen wie mich, der unter dem täglichen Eindruck marodierendender Banden von Rechtspopulisten, Nazis und alter weißer Chefredakteure in den sozialen Netzwerken nicht selten droht, vor lauter Wut den Verstand zu verlieren.

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Einer der wichtigsten Tipps für Medienunternehmen und Redaktionen, aber auch für jede*n einzelne*n von uns: „Recherchiert, bevor Ihr etwas weiterleitet. Und wenn Ihr tatsächlich darüber schreibt, dann ändert den Kontext und übernehmt nicht das Framing der Rechten.“

Stefan Kaufmann // Wie Städte die Mobilität der Zukunft gestalten

 

Stefan arbeitet bei der Stadt Ulm. Genauer in der Geschäftsstelle Digitale Agenda. Und er beschäftigt sich mit der Frage, wie wir Autos aus den Städten, mehr Menschen in die „Öffis“ oder aufs Fahrrad bekommen. Aus seiner Sicht hat das alles mit Daten zu tun. Dem Zugriff auf Daten. Also Open Date. Dann klappt‘s auch mit einer neuen und nachhaltigen urbanen Mobilität. Faszinierender Einblicke in eine Welt, von der ich keine Ahnung habe. Stefan zeigt aber auch für mich verständlich auf, wie Digitalisierung helfen kann, den Verkehrskollaps in Metropolen zu verhindern.

Das bemerkenswerteste Zitat war aus meiner Sicht: „Daten sind das Grundwasser der Wissensgesellschaft".

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Mads Pankow // Ich tu nur so — Warum Arbeit zur Simulation wird

 

Just ein paar Tage vor der re:publica hatte ich diesen grandiosen Artikel von der wunderbaren Lydia Krüger a.k.a „Büronymus“ gelesen. Ich war also schon voll im Thema. Mads zitierte dann auch viel aus dem selben Buch wie Lydia. „Bullshitjobs“ von David Graeber, einem US-amerikanischen Ethnologen und Anarchist. Die grundlegende Frage ist auch bei beiden gleich. Wieviel Sinn macht meine Arbeit? Pankow fragt dazu fast rhetorisch: „Was würde passieren, wenn alle Unternehmensanwälte morgen nicht mehr zur Arbeit kommen?“ Die Antwort kennen wir alle. Ein weiteres Phänomen "alter Arbeit" ist das Festhalten an starren Arbeitszeit und -ort Modellen. Immer noch glauben viele, wenn Menschen acht Stunden am Tag im Büro sitzen, seien sie produktiv. Dabei ist es eher umgekehrt, wie Pankow in seiner provokanten These formuliert: „Arbeit dehnt sich in dem Maße aus, wie Zeit zur Verfügung steht.“ Und auch wenn seine Powerpoint-Präsentation am Ende den Geist aufgibt, war dieser Vortrag eines meiner Highlights.

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Ansgar Oberholz // It’s the end of the work as we know it

 

Ansgar Oberholz ist Gründer des gleichnamigen Co-Working-Space St. Oberholz und einigen sicher aus dem Podcast "Hotel Matze" bekannt. Er sprach auf der re:publica im weitesten Sinne über das Thema "New Work", passenderweise in der „re:cruitig area“. Wie sich schnell herausstellte, war der Raum viel zu klein für den großen Andrang der Interessierten. Ansgar startete seinen Impuls mit ein paar Fakten zu den gravierenden Veränderungen der letzten Jahre in der Welt der Wirtschaft und der Arbeit. „Seit 2008, also seit der "Lehmann Crisis", sagt er "sind keine wirtschaftlichen Prognosen mehr möglich.“ Eine ähnliche Erkenntnis, wie sich auch Sascha Lobo in seiner Keynote am Beispiel des ifo-Indexes - der die letzten Jahre ständig überraschend fällt und steigt - aufgezeigt hatte. Weiter wirft er einen Blick raus aus der Filterblase Deutschland. „2020 werden 43% aller Amerikaner*innen Freelancer sein. „Scheinselbständigkeit“ ist eine deutsche Erfindung.

Seinen Vortag gibt es leider nicht auf Video, aber als Abschrift auf XING unter diesem Link.

Gunter Dueck // Identifikation von Bullshit und Wert

 

Zum Einstieg seiner legendären Keynotes erzählt Gunter "Wild" Dueck immer scheinbar launig ein paar Anekdoten, während derer sich (vor allem) neue Zuhörer*innen fragen, wo er eigentlich hin will. So war es dieses Mal unter anderem die Geschichte, als er auf seinen damals noch kleinen Sohn auf dem Spielplatz aufpassen sollte und plötzlich glaubte, er wäre verschwunden. Die Moral bzw. Auflösung dieser Geschichte ist dann schon mittendrin in seinem Thema. Es geht um unsere "Instinkt Algorithmen" und wie wir sie wahrnehmen und beeinflussen können, um unter anderem "Bullshit" von "Wert" zu unterscheiden. Langjährige Fans des Mathematikers, Philosophen und Ex-CTO von IBM wissen natürlich: Nichts in den Worten des Meisters ist launig oder zufällig. Es gehört alles zu einer immer wieder faszinierenden, unterhaltsamen und inspirierenden Dramaturgie.

Unten das Video von seiner Keynote und hier zum Nachlesen die schriftliche Version via XING.

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Sascha Lobo // Realitätsschock

 

Das letzte Wort bzw. die letzten Worte meines Artikels überlasse ich Sascha Lobo. Er ist ein, wenn nicht gar das Urgestein der sogenannten "Blogosphäre". Mit seinem Markenzeichen, dem roten Irokesenschnitt, wurde er über die Jahre eine Art Popstar der "Netzgemeinde". Seine Keynote am Abend des ersten Tages ist so etwas wie die heilige Messe der re:publica. Er polarisiert. Absolut. Und das ist gut so. Auch er spricht nicht über Digitalisierung. Er redet zur Lage der Nation. Und meint damit viel mehr als unser Land. Denn das Netz kennt keine Grenzen.

Auf Basis seines im Herbst erscheinenden Buches Realitätsschock war seine diesjährige Rede der (von mir) erhoffte und erwartete Rant zu so vielen Dingen, die gefühlt gerade falsch laufen. Aber anders als viele andere kommt Sascha zu der Erkenntnis, dass sich nicht alles um uns herum plötzlich verändert hat sondern unsere Sichtweise auf die Dinge. Seine Theorie ist, dass wir (hauptsächlich) durch das Internet aus einer Art Dornröschenschlaf erweckt wurden. Konnten wir während des sogenannten Wirtschaftswunders in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts das Elend der Welt in unserer Wohlstands-Oase einfach ausblenden, so ist es jetzt umso präsenter. Aber, so seine Erkenntnis, unser Gefühl täuscht, die Welt sei erst in den letzten Jahren mit Trump, Brexit, Klimakollaps und Millionen Geflüchteten "plötzlich" aus den Fugen geraten. Er hat all dem mal nachgespürt, viel recherchiert und ist dabei über so einige unbequeme Wahrheiten gestoßen. Anschnallen. Los geht's.

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Die Zusammenstellung erhebt natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Dazu war das Programm auch dieses Jahr wieder viel zu voll und vielfältig. Keine Chance, alles zu sehen und mit jedem/jeder zu sprechen. Freue mich daher über ganz viel Feedback, Ergänzungen und Anregungen. Solange die Kommentarfunktion hier noch nicht funktioniert (danke DSGVO), einfach per Mail an helge.thomas@ottomisu.com.

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